Inspiration

Veröffentlicht am 18. September 2024 um 21:07

Inspiration passiert einfach. Keiner kann sie vorhersagen oder planen. Und was es ist, das uns jeweils inspiriert, wissen wir in der Regel vorher auch nicht. Mal sind es Bücher oder Filme, mal Menschen oder Situationen in denen wir uns befinden. Manchmal reicht ein Blick in die Speisekarte eines Cafés oder ein Besuch im Zoo. Unsere Umgebung, die Natur, die Leute, der Straßenlärm oder die Ruhe eines Parks, das alles sind Faktoren, mit denen wir jeden Tag leben und die uns zur Normalität geworden sind.

Aus dem Alltäglichen Inspiration zu ziehen klingt erstmal schwierig, so sind es doch meist die Orte, an denen wir zuvor noch nie waren oder Ereignisse, die man im Leben nur einmal erlebt, die uns in einen Zustand voller Faszination und Ideenreichtum verfrachten.

Ich möchte hier einmal über ein Erlebnis sprechen, das mich wahnsinnig inspiriert hat. Über einen Tag, den ich wahrscheinlich niemals wieder vergessen werde. Gut, das genaue Datum weiß ich natürlich nicht mehr. Dafür aber, dass es im Jahr 2006 passiert ist.

Die Bank

Viel früher noch, ich war glaube ich 10 oder noch jünger, nahm der Vater einer Freundin mich mit zu einer Firmenfeier. Ich weiß gar nicht mehr so genau, wieso er uns mitgenommen hat, vermutlich hatte er keinen Babysitter für den Abend gefunden. Oder er wollte uns die Aussicht zeigen. Er arbeitete bei einer Bank, dessen sehr hohes Gebäude in meiner Heimatstadt nur zu gut bekannt ist. Ich habe mal gehört, dass es von oben nach unten gebaut wurde und da ich keine Ahnung habe, ob das bautechnisch so üblich ist (ich glaube nicht), war das für mich schon etwas Besonderes. Wir fuhren also hin, ich wurde relativ spontan eingeladen – vermutlich damit meine Freundin jemanden hatte, mit dem sie dort rumhängen konnte. (Ja, mittlerweile glaube ich wirklich, dass er einfach nur keinen Babysitter hatte…) Mit dem Aufzug ging es bis ganz nach oben und ich durfte das erste und bis heute einzige Mal aus der riesigen Fensterfront über die nächtlich beleuchtete Stadt schauen. Ich kann mich nicht mehr an den genauen Ausblick erinnern, dafür weiß ich aber, dass es wunderschön und wirklich hammermäßig war. Von mir aus hätten wir den ganzen Abend bleiben und nur aus dem Fenster starren können, es hätte bei all den funkelnden Lichtern immer etwas Neues zu entdecken gegeben.

Meine Freundin kannte das wohl schon, denn sie wirkte weniger beeindruckt als ich. Dieser Abend da oben in dem Bankgebäude ist so ein Abend, den ich ebenfalls nicht mehr vergessen werde. Gut, ich weiß nun wirklich nicht mehr, was es zu essen gab oder was überhaupt gefeiert wurde… oder wie alt ich war. Aber was ich weiß, kommt jetzt: Meine Freundin, drei oder vier Jahre jünger als ich, zog mich plötzlich auf Seite. Wir versteckten uns in einer begehbaren Garderobe voller schwarzer Mäntel und so einer kleinen Sitzbank zum Schuhe anziehen oder ablegen… ich weiß es nicht. Sie zog mich bis um die Ecke und noch tiefer zwischen die Mäntel und flüsterte mir geheimnisvoll zu: Ich hab gehört, der und der Kollege von Papa war im Gefängnis!

Ich war ein Kind und völlig überfordert mit dieser Information. Okay, was sollte ich jetzt damit anfangen? Welcher Kollege? Das ist ne Bank, das sind doch alles ehrliche, erwachsene Männer, die Familien und Kinder haben und sich um sie kümmern. Die Geld verdienen und schicke Anzüge tragen. Nie im Leben! Also stellte ich die einzig logische Frage, die jeder an meiner Stelle gestellt hätte und die auch gar nicht verwerflich ist, immerhin reden wir hier über das Gerede eines kleinen Mädchens. Ich fragte: Echt????

Gewecktes Interesse

Und das wars. Hier endet meine Erinnerung. Aber was ich weiß ist, dass dieser Satz mein Interesse geweckt hat. Ich kann bis heute nicht sagen, was es ist, das mich daran fasziniert. Ist es die Möglichkeit, dass Verbrecher unter uns sein können, ohne dass wir es wissen? Wie vielen ehemaligen Inhaftierten begegnen wir am Tag so? Wie vielen Mördern? Wie vielen Taschendieben? Wie vielen Schlägern oder Internetbetrügern? Sind es die Geheimnisse, die um uns herum geschehen? Ich zumindest würde es nicht jedem auf der Straße erzählen, wenn ich für eine Zeit lang ‚weg‘ war oder gerade ein krummes Ding am Laufen hätte. An diesem Abend wurde mein Interesse für ‚das Böse‘ geweckt. Die Menschen um uns herum sind ein einziges Mysterium. Wen wir nicht kennen, können wir nicht einstufen.

Und hier hilft mir oft meine Fantasie. Ich bin so dankbar dafür, dass ich sie bis in mein eigenes Erwachsenenleben beibehalten habe. Wenn ich Fremden begegne, stelle ich mir manchmal vor, woher sie gerade kommen oder was sie gemacht haben. Was werden ihre Ziele sein? Haben sie Familie? Was essen sie wohl heute zu Abend? Dieses Beobachten und Herumspinnen hilft mir zum Beispiel ungemein dabei, meine eigenen Charaktere zu bauen und auszufeilen.

Ich weiß, dass es für mich etwas ganz Besonderes war, 12 zu werden, ich habe sogar meinen besten Freund, als es bei ihm so weit war, gefragt, wie sich das anfühlt. Er ist ein halbes Jahr älter als ich und ich hatte etwas erwartet wie: Das fühlt sich so großartig an, Wahnsinn! Endlich 12 Yeah, das verändert dein Leben komplett, das ahnst du nicht! Überraschung: So war es nicht.

Und hier kommt ein Tick, den ich habe, seit ich das erste Mal an meine Geschichte gedacht habe.

Mein Protagonist ist zu Beginn des Buches 12 Jahre alt. Seitdem ich das weiß, sehe ich 12-Jährige mit anderen Augen. Das klingt vielleicht jetzt komisch und vielleicht ist es das auch, aber wenn ich ein Kind treffe, das gerade 12 Jahre alt ist, stellen sich meine Ohren auf und ich werde aufmerksam. Ich muss in der Geschichte einen 12-Jährigen beschreiben, also beobachte ich, wie sich echte Kids in dem Alter verhalten. Welches geistige Level haben sie bereits erreicht, wie nehmen sie Humor auf, wie sind ihre wissenschaftlichen Kenntnisse? Wissen sie, dass wir uns um die Sonne drehen? Können sie Sarkasmus von Ernsthaftigkeit unterscheiden? Wie reagieren sie in brenzligen Situationen? Wie ehrlich sind sie und wie leicht kann man sie beeindrucken?

Als mein kleiner Bruder 12 geworden ist, dachte ich mir: Wow! Der ist jetzt so alt wie mein Protagonist. Und ich habe mich gefragt, ob ich meinem Bruder das zumuten könnte, was in der Geschichte mit dem Protagonisten passiert. Als nächstes habe ich mich das bei meinem Babysitterkind gefragt, nachdem es 12 geworden ist. Und dann bei meinem Patenkind. Diese jungen Menschen inspirieren mich. Indem sie mir zeigen, wie sie leben, was sie beschäftigt, worüber sie nachdenken und wie sie handeln, kann ich die Glaubhaftigkeit meiner Figur ausbauen.

Aber das war noch nicht alles.

Der Tag, der alles veränderte

Ich hatte angefangen, mich für Verbrechen zu interessieren. In meinen Comics ging es von da an stetig darum, dass ein schlauer Detektiv einem Verbrecher auf die Schliche kommen musste. Die Serie „Detektiv Conan“ war längst zu einem Suchtfaktor für mich geworden, mich faszinierten die Fälle und wie sie gelöst wurden. Und ganz besonders mochte ich Kaito Kid – Einen Meisterdieb, der seine Coups vorher ankündigte und jedes Mal mit einem Zaubertrick erfolgreich vor der Polizei floh. Kid zeigte, dass man Verbrechern gegenüber auch Sympathie empfinden konnte.

Und dann kamen die Konfi-Praktika. Während meines Konfirmationsunterrichts mussten wir uns, ich glaube zwei Tage, ehrenamtlich irgendwo einbringen. Da ich mit 13 eher das verpeilte Kind war, das nie bis selten zugehört hat, wenn ein Erwachsener was gesagt hat, war ich auch bei der Auswahl meines Einsatzes ziemlich daneben. Ein Mädchen aus meiner Gruppe fragte mich, was ich machen wollte. Ich antwortete, dass ich wahrscheinlich das „blaue Zimmer“ streichen wollte. Woraufhin sie mir offenbarte: Ich melde mich auf jeden Fall für das Gefängnis!

Bitte was?

Dann erklärte sie mir, dass einer der Pastoren dort arbeitet und ein paar von uns mitnehmen würde. Ich ärgerte mich darüber, nicht zugehört zu haben, als das gesagt wurde und schaffte es gerade so noch in ihre Gruppe. Diese Gelegenheit war einmalig!

Darauf folgten die nächsten Wochen Vorbereitung. Wir sahen uns einen Film an, den Inhaftierte gedreht hatten, bekamen Infos über die Abläufe dort, konnten alle unsere Fragen stellen und wurden ausführlich instruiert, wie wir uns dort zu verhalten hatten. An besagtem Tag trafen wir uns auf dem Parkplatz vor dem örtlichen Gefängnis. Wir mussten am Eingang unsere Ausweise abgeben, dann gingen wir durch einen ganzen Haufen vergitterte Türen. Wir sahen den Besuchsraum, einen Zellengang und den Kirchenraum. Dort war ein Stuhlkreis aufgebaut und als alle saßen, kam ein Beamter mit drei Gefangenen dazu. Sie setzten sich zwischen uns und einer von ihnen war sogar ein Raubmörder. Ein echter Mörder mit einer Lebenslangen Haftstrafe. Ein anderer saß in Untersuchungshaft, bei ihm war noch kein Urteil gesprochen.

Ich war 13. Und leider weiß ich auch nicht mehr alles. Zwei Sachen konnte ich mir aber merken: 1. Gefängnis fühlt sich an wie Hausarrest nur zehnmal so schlimm und 2. Das Essen schmeckt nicht. Da ich sowohl Hausarrest als auch schlechtes Essen nicht kannte (meine Eltern sind toll!), konnte ich mir natürlich nichts darunter vorstellen. Aber ich habe es versucht. Die Männer verabschiedeten uns mit den Worten „Hoffentlich sehen wir uns nie wieder“ und als wir wieder draußen waren, war für mich klar, dass Gefängnisse in meiner Fantasie, in meinen Geschichten, demnächst immer mal wieder eine Rolle spielen würden.

Auswirkung auf meine Geschichte

Das Thema hat mich nicht mehr losgelassen. Und deswegen ist es, denke ich, kein Wunder, dass mein 12-Jähriger Protagonist ständig in gewaltige Schwierigkeiten gerät und in seinem Leben das ein oder andere Mal eine Zelle von innen sieht.

Hätte meine Freundin mich bei der Betriebsfeier der Bank nicht auf Seite genommen und mir einen vom kriminellen Kollegen erzählt, wäre es vielleicht nie soweit gekommen. Wer weiß? Inspiration kann man an jeder Ecke finden. Es können Erlebnisse sein oder einfach die Worte einer 8-Jährigen. Übrigens hat Maximilian Pollux im Jahr 2020 seinen eigenen Youtube Kanal gestartet, auf dem er über seine Zeit im Gefängnis redet. Ich habe lange nach einem Input wie seinem gesucht. Gangster, Knast & Kriminalität ist seine Überschrift und ich kann jedem empfehlen, sich anzuschauen und auch anzuhören, was er zu sagen hat. Sein Content ist für mich Gold wert! Max ist aber nicht nur Youtuber, er ist auch Autor. Sein Buch KIELECK spielt in einem Gefängnis und ist wirklich gut!

Natürlich gibt es eine gewaltige Menge anderer Quellen, aus denen ich Inspiration beziehe. In den letzten Zehn Jahren konnte ich als Teil des Rudels  lernen, wie Erwachsene so miteinander reden - was mir ebenfalls eine große Unterstützung beim Schreiben ist. Die ersten Entwürfe entstanden schließlich aus den Vorstellungen eines Teenagers.

Was inspiriert euch? Gab es ein Schlüsselereignis, wie bei mir? Sind es die kleinen Dinge? Die Großen? Schreibt es gerne in die Kommentare, ich freue mich auf den Austausch mit euch.

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