
Mit dieser Überschrift meine ich nicht das Ärzte Lied, sondern einen Ort, an den ich in meinem Leben immer wieder zurückkehre. Eigentlich gibt es da viele Orte. Ich gehe fast jeden Tag zur Arbeit und fahre damit die Strecke hin und zurück. Immer und immer wieder. Genauso komme ich nach der Arbeit jedes Mal nach Hause und kehre in meine Wohnung zurück. Auch die Wohnung meiner Eltern ist einer dieser Fixpunkte, die ich mal verlassen habe und bei denen es mir ein Schlüssel ermöglicht, vorbeizuschauen, wann ich das möchte. Das ist gut. Jeder sollte solche Orte haben. Außerdem fördert die Einkehr in verschiedene Anlaufpunkte auch die eigene soziale Stärke. Das hat mir zumindest meine Erfahrung gezeigt.
Als Kind, das schon immer eine Kirchengemeinde besucht hat, ist natürlich auch das Gemeindehaus eine der Stellen, die ich ständig aufsuche. Sei es für ehrenamtliche Arbeit, Veranstaltungen oder zum Musikmachen. Ich war insbesondere in meiner Teenagerzeit beinahe täglich dort. Einen Großteil meiner Freunde kenne ich durch die Gemeinde und ich hatte nie das Gefühl, dort nicht willkommen zu sein. Vor ein paar Jahren wurde ich dann offiziell als Mitglied aufgenommen. Die Gemeinschaft ist wie ein Zuhause für mich. Sie gibt mir Regelmäßigkeit, Rückhalt, Freude, einen Ort wo ich mich und meine Fähigkeiten einbringen kann und außerdem Kontakte in die verschiedensten Richtungen. Doch obwohl ich schon seit 29 Jahren von Menschen umgeben bin, die mir all das bieten, kenne ich sie teilweise nicht einmal mit Namen.
Letztes Wochenende hat die Gemeinde eine Freizeit veranstaltet. Es ging für drei Tage in ein Freizeitheim aufs Land, etwa 50km von meiner Heimat entfernt. Lustigerweise gab es in meinem Alter außer mir keinen Teilnehmer. Meine Freunde hatten entweder Corona oder keine Zeit, was aber überhaupt nicht schlimm war. Für mich bot sich dadurch die wunderbare Gelegenheit, die Menschen besser kennenzulernen, die mich schon immer umschwärmen, über die ich aber kaum etwas weiß. Und wenn ich über einen Ort der Rückkehr spreche, dann meine ich damit genau dieses Freizeitheim.
Nicht nur ich, sondern auch gefühlt alle anderen Gemeindemitglieder verbinden mit diesem Freizeitheim so unglaublich viele Erinnerungen. Wenn man als westdeutsches Kind schon früh christlich geprägt wird, dann findet irgendwann jeder seinen Weg dorthin. Ich war schon als Baby dort auf Freizeiten mit meiner Mum. Später mehrmals als Kind, dann als Teenager und als ich angefangen habe, ehrenamtlich zu arbeiten, hat es mich ebenfalls immer mal wieder für einzelne Tage dorthin verschlagen. Auf dem Gelände mit den drei Freizeithäusern, dem großen Spielplatz und einem Wald steckt hinter jeder Ecke eine Erinnerung und es ist schön, über die Wege zu laufen und daran zu denken, was man hier alles schon erlebt hat.
Einmal habe ich mit den anderen Teenagern aus meiner Gemeinde an einem Fußballturnier gegen andere Gemeinden teilgenommen. Ich stand auf dem Platz in der Abwehr und habe völlig verträumt in die Gegend gestarrt, als der Ball auf mich zukam. Ich bemerkte ihn nicht und er traf mich volles Rohr im Bauch. Nach Luft japsend passte ich den Ball einem Mitspieler zu. Vom Spielfeldrand setzten daraufhin die Jubelschreie der Eltern ein, die mich lobten für die tolle Abwehr.
Ein anderes Erlebnis war, dass ein Freund sich mitten im Gang zwischen den einzelnen Zimmern auf eine Bank gesetzt und Gitarre gespielt hat. Ich setzte mich dazu, wir sangen hauptsächlich Songs von „Die Ärzte“ oder welche aus den christlichen Liederbüchern. Diejenigen, die vorbeikamen, blieben meist und setzten sich dazu. Bald waren fast alle Freizeitteilnehmer zugegen und lauschten der Musik oder sangen laut mit. Sie verteilten sich auf dem Boden und der Wendeltreppe nach unten. Für Vorbeilaufende gab es kein Durchkommen mehr.
Am tollsten fand ich, als wir jetzt am Wochenende einen Spaziergang gemacht haben und ein Ehepaar sich auf eine Bank am Grundstückrand setzte. Sie erzählten, dass sie sich auf genau dieser Bank verlobt hatten und zwar an genau dem Datum vor 45 Jahren.
Ich nahm mir für die Freizeit vor, mein Handy im Zimmer zu lassen und mal ganz bewusst auf die Menschen zuzugehen und sie kennenzulernen. Im Moment fiel es mir nämlich schwer, an meiner Geschichte zu arbeiten, da ich an einer Stelle feststeckte, an der mir die Ideen fehlten oder nicht gefielen. So erhoffte ich mir, bei einer kleinen Auszeit Energie zu tanken und neue Inspiration zu schöpfen. Und was soll ich sagen? Es war ein Erfolg!
Schon am Freitag fing es an, dass ich ein Telefongespräch mit einer Lektorin hatte, mit der ich hoffentlich in Zukunft zusammenarbeiten werde. Sie gab mir die Aufgabe, meine gesamte Geschichte, also alles alles alles auf drei Seiten zusammenzufassen. Dazu kam ich natürlich am Freitag nicht mehr, denn ich hatte mir ebenfalls vorgenommen, die Strecke zum Freizeitheim mit dem Fahrrad zu absolvieren. Um ca. 11 Uhr fuhr ich los und bemerkte direkt am Anfang, dass meine Bluetooth Kopfhörer leer waren. Aber auch das war nicht schlimm, denn ich denke lösungsorientiert. Die ersten zehn Kilometer verbrachten sie also an der Powerbank und ich konnte mich mit mir und meinen Gedanken beschäftigen. Beim Fahrradfahren ist man nämlich genau dazu gezwungen. Was soll man denn sonst machen?
Ich war ca. 4 ½ Stunden unterwegs, natürlich nicht komplett ohne Musik. Die nächste Überraschung gab es dann bei der Zimmerverteilung. Eigentlich war ich eingeplant, mit einer Mutter und zwei Kindern im Zimmer zu schlafen. Da sich der Familienvater allerdings für Samstag angekündigt hatte, bekam ich ein Einzelzimmer. Noch besser! An einen Rückzugsort hatte ich nämlich gar nicht gedacht. Ich legte mein Handy weg und stürzte mich in die Freizeit.
Am Abend saß ich im großen Saal und spielte Gitarre. Um mich herum tobten Kinder. Doch irgendwann wurden sie ruhiger und setzten sich dazu. Das war cool, diesmal war nämlich ich die mit der Gitarre. Wir sangen ein paar Lieder, bis sie die Lust verloren und weitertobten. Ich verließ den Raum und fand im Foyer ein paar Eltern von meinen Freunden sitzen und Bier trinken. Wieder eine neue Erfahrung, denn Alkohol war auf allen Freizeiten, die ich bislang besucht hatte, verboten und ich glaube, es war auch das erste Mal überhaupt, dass ich diese Menschen, die ich schon immer kenne, habe Alkohol trinken sehen. Ich setzte mich dazu, nahm mir ebenfalls ein Radler und dann quatschen wir bis spät in die Nacht über Erinnerungen von diversen Freizeiten. Es wurden Zeltlagergeschichten zum Besten gegeben, Streiche, Überfälle, Familiengeschichten und teilweise wurde es echt emotional, als wir von der Vergangenheit hörten, die einer lange unausgesprochen gehalten hatte.
Solche Momente genieße ich sehr. Dann, wenn andere Menschen von sich erzählen, begegnen mir neue Eindrücke, die ich auf mich wirken lassen kann und die sich in mein Unterbewusstsein einnisten. Später kann ich genau darauf zurückgreifen, wenn ich Inspiration für mein Buch brauche. Ich lege sozusagen ein Archiv voller Gedanken an, auf das ich jederzeit zurückgreifen kann, wenn ich im Schreibprozess etwas brauche, das in die Situation passt.
Zu jeder Mahlzeit saß ich an einem anderen Tisch mit anderen Gesprächspartnern und Menschen, die ich eventuell noch nicht so gut kannte. Ich weiß genau, wären meine Freunde dabei gewesen, hätte ich nur mit denen rumgehangen. So habe ich vieles erfahren und eine Menge Hintergrundwissen über die Menschen der Gemeinschaft angehäuft.
Der Samstag begann damit, dass wir noch vor dem Frühstück alle zusammen in einer Höhle waren. Das Grundstück hat einen alten, begehbaren Stollen und darin zündeten wir Kerzen an und sangen Lieder. Ich weiß nicht, wie das für dich klingt. Ob du jetzt an eine Sekte denkst oder an Hexen, die ein Ritual vollziehen. Für mich war das einfach nur schön. Die Selbstverständlichkeit der Leute für solche Situationen liebe ich total! Wenn alles unkompliziert ist.
Klar, lasst uns vor dem Frühstück und vor dem ersten Kaffee in eine tiefe Höhle laufen, wo es kalt und feucht ist. Kein Problem! Lasst uns singen und den Tag mit guten Gedanken starten!
Genau deswegen besuche ich die Gemeinde. Weil alle an einem Strang ziehen und an die gute Botschaft Gottes glauben. Ich kann verstehen, wenn Menschen sagen, dass Religion nichts für sie ist. Und ich möchte niemanden überzeugen, der Kirche beizutreten, wenn er das nicht will. Aber ich kann erzählen, was ich daran bewundere. Nämlich genau das!
Tagsüber reiste dann auch der besagte Familienvater an, wegen dem ich ein Einzelzimmer bezogen hatte.
Ich glaube ja daran, dass einem Gutes widerfährt, wenn man das Glück, das man hat, annimmt. Glück kann schon sein, dass man doch noch ein Tütchen Backpulver im Schrank gefunden hat oder die Bahn Verspätung hatte, man selbst aber auch und deswegen doch noch pünktlich am Ziel ankommt. Manchmal ist Glück auch in Pech versteckt. Solange man das kleine Glück, wie ich es nenne, sieht und annimmt, sich darüber freut und dankbar ist, wird man auch selbst innerlich zufriedener. Was ich außerdem denke ist, dass der eigene Weg vom Glück nicht übersehen wird, wenn man seiner Leidenschaft folgt.
Ich kam mit dem Mann ins Gespräch, ich wusste, dass er als Journalist für Zeitungen geschrieben hatte und fragte, ob er einen guten Tipp für mich hat, da ich ebenfalls schreibe. Er gab mir folgenden:
Wenn du etwas kurz und knapp zusammenfassen musst, aber nicht weißt, wie, dann wende die Küchenmethode an. Die Küchenmethode geht so: Stell dir vor, du sitzt im Wohnzimmer und schaust fern. Darin passiert etwas, das du unbedingt weitersagen willst, aber du willst nicht aufstehen und die nächste Person steht gerade in der Küche. Du rufst die Information also durch die ganze Wohnung und weil du nicht ewig lange Sätze rufen willst, die wahrscheinlich eh nicht komplett verstanden werden, rufst du nur ein paar Wörter, die die Information auf den Punkt bringen.
Für diesen Tipp bin ich so unglaublich dankbar, denn ich muss ja wie gesagt noch die Zusammenfassung meiner gesamten Geschichte auf drei Seiten schreiben und da ist es super wichtig, dass ich mich bei gewissen Szenen kurzfasse.
Nach dem Mittagessen habe ich eine ganze Stunde lang mit einer Mutter von vier Kindern über Ängste gesprochen. Angst ist ebenfalls ein Thema, das in meiner Geschichte vorkommt und gerade am Anfang sehr präsent ist. Ich bekam durch sie einen Einblick in verschiedene Ängste, Angststörungen und Reaktionen. Sie nannte mir logische Handlungen von Betroffenen und die Dinge, die Ursache für zum Beispiel Panikattacken sein können. Ich sog alles auf. Spätestens nach diesem Gespräch wusste ich, es war die richtige Entscheidung, mich an diesem Wochenende von meinem Handy zu trennen. Kaum auszudenken, wie viel Zeit ich verschwendet hätte, hätte ich es bei mir gehabt. Die meisten Gespräche wären wahrscheinlich nie zustande gekommen.
Den Vogel abgeschossen hat mein Erlebnis von Samstagabend. Wir entzündeten ein Lagerfeuer, an dem die Kinder (und auch die Erwachsenen) später Stockbrot machten und Marshmallows schmelzen ließen. Wir lauschten der Andacht, sangen Lieder und redeten viel. Die Feuerstelle befindet sich bei einem Steinbruch. Um sie herum sind zwei Reihen Baumstämme im Kreis angeordnet, auf denen man sitzen kann. Der Wald schottet die Stelle etwas ab und das dicke Wurzelgeflecht an der Steinbruchmauer lädt Abenteurer ein, zu klettern und über sich selbst hinauszuwachsen. Wer manche Passagen aus meiner Geschichte bereits testlesen durfte, erkennt hier die eindeutige Inspirationsquelle.
Während ich also mit einem Kind auf dem Schoß und einem anderen Kind neben mir dabei war, die Stockbrote so über die Glut zu halten, dass nichts anbrannte, setzte sich der Vater eines der Kinder neben mich. Es war der Journalist, der mir den Tipp gegeben hatte. Wir kamen ins Gespräch, er erzählte von seiner Arbeit und als er das tat, spürte ich seine Begeisterung für den Beruf. Ich fragte ihn, was das Spannendste war, worüber er je geschrieben hat und er sagte es mir wie aus der Pistole geschossen. Es handelte sich um eine unschöne Geschichte, die sich vor ca. 13 Jahren abgespielt hat und die zufällig genau zu dem Thema passt, das mein Buch behandelt. Ich war total perplex. Seit Jahren recherchiere ich und versuche, das Beste aus meinen Informationen zu machen und dann treffe ich jemanden, der professionell darüber berichtet hat und sogar Einfluss auf die Medien hatte. Den Rest des Abends konnte ich an nichts anderes mehr denken. Das Thema ist real. Und das Thema ist schwierig. Darüber zu schreiben ist eine Herausforderung, das war auch seine Meinung. Ich hoffe sehr, dass ich das am Ende gut mache und mein Protagonist alles übersteht. Irgendwie…
Leider hatte der Verantwortliche für mein Einzelzimmer keine Notizen mehr dazu, die ich mir leihen könnte, aber allein seine Erzählungen haben mich sehr berührt.
Mir ist zusätzlich wieder einmal klargeworden, welche Macht von Feuer ausgeht. Feuer kann uns nicht nur warmhalten, es kann auch gefährlich sein. Mein Platz auf den Baumstämmen war in der zweiten Reihe. Die Kinder vor mir haben die volle Hitze abgekriegt, wogegen ich es „nur warm“ hatte. Flammen sind schnell und sie suchen sich ihren Weg. Es ist nichts passiert, als wir am Feuer saßen, doch irgendwie war ich von dieser Gewalt ziemlich beeindruckt. Lagerfeuer machen ist toll!
Ich glaube, dass dieses Wochenende genau das war, was ich gebraucht habe. Mir haben Ideen gefehlt und ich kam beim Überarbeiten nicht weiter. Was Drei Tage ohne Handy ausmachen können, wenn man sich mit den Menschen um sich herum beschäftigt, ist großartig und ich bin dankbar für diese Erfahrung. Außerdem hat sich jetzt eine neue Erinnerung an das Freizeitheim ergeben. Ich werde nie vergessen, wie ich am Lagerfeuer saß und diese Informationen bekam. Die Szene, an der ich aktuell hänge, ist mir jetzt auch klar. Ich weiß jetzt, was ich daraus machen möchte und wie sie sich in die Geschichte einbringt.
Sonntags gab es einen gebührenden Freizeitabschluss und ich konnte mich an die Eltern einer Freundin dranhängen, die ebenfalls mit dem Fahrrad gekommen waren. Es ging also die ganze Strecke wieder zurück, wobei ich den letzten Part, nachdem die beiden zuhause angekommen waren, mit dem Zug absolvierte.
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