Wertlose Ideen?

Veröffentlicht am 18. September 2024 um 21:08

Wenn man das Ziel verfolgt, einen Roman zu schreiben, sind Ideensammlungen sooo unfassbar wichtig! Das ist auch einer der häufigsten Tipps, die ich bekomme oder selbst an Schreibende weitergebe. Schreib alles auf, was dir einfällt! Egal, wie gut oder schlecht die Idee ist, nimm dir ein Stück Papier oder ein Schreibdokument am PC und fang an. Ideen sind wie kleine Babys. Sie wachsen und entwickeln sich mit der Zeit. Und nur, was du aufgeschrieben bzw. festgehalten hast, kannst du später auch sinnvoll verwerten.

Wie ich bereits in meinem Post über Emotionen beim Schreiben erwähnt habe, schreibe ich meine Ideen entweder auf Papier, am Handy oder direkt am Laptop auf. Dadurch hat sich im Laufe der Zeit ein ganzer Stapel an Texten ergeben, über den ich längst den Überblick verloren habe. Irgendwann mal habe ich lose Zettel miteinander vertackert und auf meiner Festplatte Ordner angelegt, um das alles wenigstens ein bisschen zu sortieren – wobei man von sortieren hier auch nicht mehr sprechen kann. Eigentlich habe ich mir dadurch lediglich einen digitalen Haufen gebaut, auf den ich immer weitere Ideen drauflege und den ich hin und wieder mal durchwühle. Auch ein datiertes System hat mir dabei nicht geholfen. So lautet auf meiner Festplatte der Ordnername des zweiten Manuskriptversuchs „Ideen Aktuell“ und ist von 2014.

Jetzt steht natürlich die Frage im Raum: Vivi, wenn du so viele Ideen hattest und hast, warum ist dein Buch dann immer noch nicht fertig?

Ganz ehrlich? Weil die meisten Ideen davon Schrott sind!

Und das ist wirklich so. Teilweise verbringe ich Stunden damit, eine Szene bis ins Detail aufzuschreiben (mit Hand dauert sowas wirklich lang), nur, um sie nachher zu verwerfen. Da mache ich mir Gedanken um das Setting, die Umgebung, die Dialoge, die Emotionen, den Zeitpunkt innerhalb der Story und dann, wenn ich den Text Wochen / Monate später noch einmal lese, stellt er sich als gequirlter Mist heraus.

Warum ist das so?

Dieses ganze Buchprojekt basiert ja auf solch einer Idee. Am Anfang waren da nur diese beiden Charaktere ohne Namen und ohne Geschichte. Sie waren einfach da und sollten dem groben Hintergedanken in meinem Kopf Leben verleihen. Der Gedanke entwickelte sich bereits in den ersten Stunden und Tagen zu etwas Festem. Er nahm Gestalt an, ich konnte ihn mir bildlich vorstellen. Seit ich im Jahr 2008 den ersten Satz abgetippt habe, entwickelt er sich immer und immer weiter. Mittlerweile haben wir 2022 und von der ursprünglichen Idee war zwischendurch gar nichts mehr übrig. Vor ein paar Wochen entschied ich dann, dass ich sie wieder einbaue. Wie bei einem Puzzle muss man gucken, ob eine Idee passt oder nicht. Wer das Brettspiel „Go“ kennt, weiß, dass manche Züge schlecht sind, wenn man sie am Anfang spielt, aber spielentscheidend sein können, wenn der richtige Zeitpunkt gewählt wurde. Diesen Gedanken wende ich dann auf meine Ideen an. Sollte ich sie jetzt aufschreiben oder später? Kann ich sie später noch einbauen? Ist es wichtig, dass das im Buch erwähnt wird?

Es ist ein Prozess, der unaufhörlich fortschreitet. Hätte ich ein gut sortiertes Ideen-Zettel-System, könnte man wunderbar verfolgen, welche Themen mich wann beschäftigt haben und wie ich versucht habe, die in meine Geschichte mit einzubauen, weil ich dachte, das könnte ja vielleicht passen.

Der Vorteil von so vielen Ideen ist, dass man Schreiben übt. Man kann ja in allem besser werden, wenn man es regelmäßig und mit einem gewissen Anspruch macht. Je mehr ich schrieb, desto besser wurde ich. Und desto besser wurden meine Ideen. Und hier kommt der Nachteil: Ich begann, zu hinterfragen. Einiges, was ich mir bis dahin vorgestellt hatte, erschien mir plötzlich unlogisch. Manches fand ich gut, wusste aber nicht, wann ich es erwähnen sollte und dann war ich von mir selbst erschrocken, wie dämlich weitere Ideen waren. Da möchte ich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und hoffe, dass niemand diese Sätze jemals findet!

Einige Texte habe ich auch nur für mich aufgeschrieben, weil ich mir zum Beispiel die Hintergrundgeschichten für meine Charaktere ausgedacht habe. Anfangs dachte ich mir nur „Okay, hier muss jemand mit meiner Figur interagieren. Ich stell da einfach mal jemanden hin, dann passt das schon.“ Das ging viele Jahre so. Aber irgendwann machte ich mir Gedanken darüber, warum diese Statisten dort herumstanden. Wie waren sie hergekommen? Wie waren ihre Namen? Hatten sie Familie? Machten sie den Job nur, weil sie Geld brauchten oder weil sie Spaß daran fanden? Wie ist ihr Kleidungsstil? Wie wichtig ist diese Person überhaupt? Hat sie Geschwister? Eine Beziehung? Merkwürdige Angewohnheiten?

Das Schreiben wurde stetig unterbrochen durch das Herumbasteln an den Einzelheiten. Deswegen bin ich noch nicht fertig. Weil es mir immer wichtiger wurde, jede Figur sinnvoll einzubauen und zu wissen, welche Rolle sie genau übernimmt. Ganz aktuell (2022) habe ich das sogar schon wieder gemacht. Im ersten Abschnitt des Buches stelle ich meinem Protagonisten einen Helfer zur Seite, der kurz eine wichtige Rolle spielt. Ich habe lange überlegt, wie ich die dargestellte Situation löse und kam zum Ergebnis, dass hier ein weiterer Charakter herhalten muss. Ich erfand einen Bankräuber. „Okay, aber warum sollte ein Bankräuber einem Zwölfjährigen helfen?“, fragte ich mich. Ich gab ihm daraufhin eine soziale Ader und ein herzliches Lächeln. Nächstes Problem. Der Typ war viel zu nett! Warum sollte er also bewaffnet eine Bank ausrauben??? Und dann ließen meine Synapsen nicht mehr locker. Mittlerweile kommen mir Hintergrundideen schneller als früher. Ist ja auch logisch, ich hab das trainiert. Dieser Typ hat heute einen interessanten Hintergrund und wird noch wichtig für die ganze Geschichte.

Alles baut aufeinander auf.

Kennt ihr diesen Supertipp: Kill your darlings (Töte deine Lieblinge)? Wenn eine Figur wirklich toll ausgedacht ist und eine echt gute Geschichte mit sich bringt, aber zum eigentlichen Teil der Handlung überhaupt nichts beiträgt, dann hat sie in deinem Buch nichts verloren. Streich sie raus! Es tut manchmal echt weh, aber auch das habe ich schon hinter mir. Sie leben auf den Ideenzetteln weiter - ins Buch schaffen sie es wohl nicht.

Ganz an Wert haben diese Figuren aber nicht verloren. Sie haben mich ein ganzes Stück auf dem Weg zur finalen Geschichte begleitet und obwohl sie nicht mehr vorkommen, tragen sie ihren Teil dazu bei, indem durch sie neue Ideen entstanden sind oder die Story besser wird, wenn sie eben nicht mitspielen. Vielleicht finde ich die Idee mit dem Bankräuber in zwei Wochen auch schon wieder total blöd, wer weiß?

Ich glaube, Stephen King hat mal gesagt, dass er sich keine Ideen aufschreibt, um sie nicht zu vergessen. Denn wenn es eine gute Idee ist, dann vergisst er sie nicht (korrigiert mich bitte, wenn er es nicht war).

Da muss ich ihm recht geben, aber andererseits auch nicht. Ich habe in meiner Ideenkiste schon Zettel gefunden, die teilweise zu sechs Blättern zusammenhingen, mit Ideen, die ich komplett vergessen hatte. Da war es schön, etwas zu lesen, das ich selbst geschrieben hatte, ohne zu wissen, was da stand.

Indem man alles aufschreibt, was einem zur Geschichte einfällt, entsteht ein Speicher an Ideen, den man immer wieder abrufen kann. Voll die gute Sache eigentlich! Ich würde es jedenfalls immer wieder so machen.

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